Melanie Oesch
So schlimm steht es um ihren Bruder
Mit ihrer Familienband feiert die Jodlerin und Sängerin seit 20 Jahren riesige Erfolge. Nun zwingen nicht genauer definierte gesundheitliche Gründe den Jüngsten von Oesch’s die Dritten zur Auszeit – wahrscheinliche Spätfolgen seines Autounfalls von 2011.
«Es belastet mich sehr und ist nicht einfach», sagt Melanie Oesch (29). Ihr Bruder Kevin (26), Gitarrist von Oesch’s die Dritten, muss bis auf Weiteres eine Auszeit nehmen. Die Gesundheit des jüngsten Sohns der Musikerfamilie war in den letzten Jahren angeschlagen. «Das hat ihn nicht nur in seinem privaten Alltag, sondern auch bei den vielen Konzerten eingeschränkt und ihn psychisch wie physisch sehr belastet. Wir möchten ihm die Zeit geben, seinen Problemen auf den Grund zu gehen und hoffen, dass er bald auf die Bühne zu uns zurückkehren kann», gab die Familie in einer Mitteilung bekannt.
Melanie, Frontfrau der Gruppe, schliesst nicht aus, dass die Probleme auf Kevins Autounfall von 2011 zurückzuführen sind, bei dem er ein mittleres Schädel-Hirn-Trauma erlitten hatte. Kevin fühlte sich in den Jahren danach oft niedergeschlagen und müde – Therapien und Untersuchungen führten nicht zum Genesungserfolg. Jetzt zieht er die Notbremse. Die Formation feiert dieses Jahr ihr 20-jähriges Bestehen. Ausgerechnet zur Jubiläumstour kann Kevin nicht dabei sein. Der Konzertmarathon startete im Februar und führt die Berner im Laufe des Jahres durch Deutschland, Österreich und die Schweiz.
Kevins Probleme bedrücken die Familie. Dennoch schwingt in der Mitteilung der Band die Hoffnung mit, dass er bald zu Oesch’s zurückkehren kann. Wären sie nicht mehr die beliebte Familienband, wenn einer fehlt? Melanie sagt zur GlücksPost: «Jeder Einzelne ist wichtig. Wir haben stets offen darüber gesprochen, was wäre, wenn einer von uns mal keine Lust mehr hat. Ob und in welcher Form die anderen weitermachen würden, kann ich nicht sagen.»
Müdigkeit und Niedergeschlagenheit: Neurochirurg Prof. Dr. Hans Landolt kennt diese Symptome – sie sind typisch für ein nicht kuriertes Schädel-Hirn-Trauma. «Leider werden Schädel-Hirn-Traumata nach wie vor oft nicht ernst genug genommen. Vor allem, wenn nach dem Unfall keine eingehende neuropsychologische Untersuchung der Hirnleistung erfolgt. Zusätzlich müsste man über längere Zeit hinweg regelmässig Verlaufskontrollen durchführen.» Bei einem Musiker, der ständig unterwegs ist, sei das aber schwierig, weil eine seriöse Neurorehabilitation viel Zeit in Anspruch nehme. Just zur Zeit des Unfalls waren Oesch’s dabei, sich im skandinavischen Raum einen Namen zu machen. Nur fünf Wochen nach dem Crash stand Kevin wieder auf der Bühne, klagte allerdings über Müdigkeit und Unwohlsein.
«Es gibt so viele Hirnfunktionen, die nach einem Trauma in Mitleidenschaft gezogen werden können. Ein Schädel-Hirn-Trauma kann Strukturschäden in verschiedenen Gehirnpartien verursachen. Diese führen je nach Lokalisation zu unterschiedlichen Leistungsdefiziten. Man muss den Patienten neuropsychologisch auf Gedächtnisleistung, Auffassungsvermögen, Schnelligkeit oder Aufmerksamkeitsgrad und unzählige weitere mögliche Störungen untersuchen – auch später wieder. Selbst wenn Kevin in guten Händen war: Das Risiko, etwas zu übersehen, ist sehr gross», erläutert Dr. Landolt. Er hat Verständnis, dass ein Musiker sofort weitermachen möchte, wenn es gerade so gut läuft mit der Karriere – und deshalb vielleicht Signale seines Körpers falsch einschätzt.
Doch genau das ist fatal. Müdigkeit und Niedergeschlagenheit sind laut Dr. Landolt die Folgen der neuropsychologischen Leistungseinschränkungen. «Der Patient realisiert vor allem, dass er nicht mehr so auf der Höhe ist und nicht weiterkommt, versteht aber nicht wieso. Das wiederum führt zu Verstimmungen und Depressionen – der Patient weiss ja nicht, warum es einfach nicht mehr so super geht wie vor dem Unfall. Ist eine solche reaktive Depression chronifiziert, kommt man nicht mehr allein heraus.» Das Wichtigste sei, nicht aufzugeben. Der Patient sollte alles dransetzen, gesund zu werden. Auch im Nachhinein kann man versäumte Therapien nachholen. Das bedeutet, dass der Patient den ganzen Abklärungsprozess erneut durchläuft und gezielt die diagnostizierten Defizite therapieren lässt.
Hat Kevin nun also die Konsequenzen zu tragen, dass er sich nach seinem schweren Unfall vor bald sechs Jahren nicht genug Zeit nahm? Melanie meint: «Es gibt Menschen, die fahren vier Wochen nach einem Kreuzbandriss wieder Ski. Andere gehen mit Grippe zur Arbeit. Das Umgehen mit Stresssituation ist bei allen so individuell. Wer sagt uns, welcher der 100 Tipps und Ratschläge der Richtige ist?» Hoffen wir, dass Kevin nun die richtigen Lösungen findet. Schliesslich wollen ihn nicht nur Oesch’s die Dritten gesund und munter wieder bei sich haben, sondern auch die Fans.