Andreas Gabalier
Die Familientragödie ereignete sich vor den Augen der Mutter
So offen wie nie spricht die Mama des Sängers über die schlimmste Zeit ihres Lebens – wie sie den Verlust von Ehemann und Tochter verkraftet hat, zurück ins Leben und eine neue Liebe fand.
Sie hätte nie daran gedacht, wieder einen Mann in ihr Leben zu lassen. «Ich war innerlich so unglaublich verletzt», sagt Huberta Gabalier (59), Mutter von Volks-Rock’n’Roller Andreas Gabalier (32). Sie verlor 2006 auf tragische Weise ihren Gatten Wilhelm (†52), zwei Jahre später auch ihre Tochter Elisabeth (†19) – durch Suizid. Seit knapp einem Jahr ist sie wieder verheiratet. «Dass es nochmals so schön werden kann wie jetzt, ist ein grosses Geschenk des Himmels!»
GlücksPost: Es fällt auf, dass Sie eine Frau sind, die gerne lacht. Bewundernswert nach allem, was Ihnen passiert ist!
Huberta Gabalier: Vor einigen Jahren hätte ich auch noch nicht gedacht, dass ich je wieder würde lachen können. Aber ich habe einen sehr starken Glauben. Er hat mir die Dinge ein bisschen erleichtert. Und natürlich habe ich meine drei Söhne, die mir versprochen haben, dass sie leben wollen. Wir haben einander versprochen, dass wir immer füreinander da sein werden. Auch das Schreiben meiner Gedichte hat mir sehr geholfen. Und dann natürlich auch mein jetziger Mann, mit dem ich seit Mai 2016 verheiratet bin.
Inzwischen gibt es drei Gedichtbände von Ihnen, in denen Sie Ihr Schicksal verarbeitet haben.
Und ich gebe regelmässig Lesungen. Da kommen viele, die wie ich Menschen durch Suizid verloren haben. Ich empfinde es als eine Gnade, dass ich diese Tragödie, die sich in meiner Familie abgespielt hat, durch das Schreiben überlebt habe. Noch heute habe ich Momente, in denen ich denke: «Nein, das habe ich nicht erlebt. Wie kann man so etwas überhaupt aushalten?» Ich bin dankbar dafür, dass ich positive Worte in die Welt tragen kann.
Nach allem, was Sie durchgemacht haben, stellen ausgerechnet Sie sich hin und sagen: Ich stehe für das Positive.
Ich hatte auch andere Zeiten. Phasen, in denen ich dachte: Das hat doch eh alles keinen Sinn mehr, mein Leben geht den Bach runter. Dass mein Mann und meine Tochter sich auf so grausame Weise das Leben genommen haben, war ja schon schlimm genug. Aber auch die ganze Situation danach hat mich jahrelang gequält – dass ich vor einem Schuldenberg stand, dass ich nicht wusste, wie es weitergehen und wie ich meine Kinder versorgen sollte, ob ich überhaupt meine Wohnung behalten kann.
Und dann?
Mein grosser Anker, an dem ich mich festgehalten habe, war der Glaube. Und viele liebe Menschen um mich. Ganz besonders auch meine Mutter. Sie sagte oft zu mir: «Wenn du nicht mehr weisst, wie es weitergehen soll, dann lege deine Sorgen einfach auf den Altar und vertraue darauf, dass der Herrgott es wandeln wird.» Und genau das ist auch passiert. Heute kann ich nur staunen über das viele Gute, das mir geschehen ist. Ich glaube, diese grossen Tragödien sind mir passiert, damit ich diese Botschaft in die Welt trage: dass alles Schlechte sich zum Guten wandelt. Genauso glaube ich auch, dass mein Sohn Andreas nicht einfach nur Musiker ist – er hat vom lieben Gott einen Auftrag mitbekommen. Für mich ist Andreas ein Friedensbotschafter. Und diesen Auftrag erfüllt er, indem er mit seiner Musik die Menschen erfreut.
Was löst seine Musik in Ihnen aus?
Andys Musik hat mir auch sehr geholfen. Bei manchen Texten, die Andreas schreibt, habe ich das Gefühl: Das will mir eigentlich mein verstorbener Mann sagen – durch Andreas und Textpassagen wie «So wie Wurzeln mächtige Bäume stützen, so möchte ich dich beschützen.»
Gab es nicht auch Momente, in denen Sie keinen Lebenswillen mehr hatten?
Ja, ich wollte auch aus dem Leben gehen, habe darüber nachgedacht, wie ich es machen könnte. Aber ich hatte meinen Kindern versprochen, am Leben zu bleiben. Aber ich verstehe durchaus Menschen, die sich nach so einer Tragödie das Leben nehmen. Man darf das nicht verurteilen. Viele Menschen können in so einer Situation einfach nicht anders. Ich war auch an dem Punkt, an dem ich sagte: Ich kann nicht mehr, ich schaffe nicht mal mehr den normalen Alltag. Aus heutiger Sicht bin ich einfach nur dankbar, dass ich mit Hilfe von oben aus diesem Loch wieder herausgekommen bin.
Andreas sagte, er sei zeitweise regelrecht wütend gewesen, dass sein Vater und seine Schwester eine so brutale Form gewählt haben, um aus dem Leben zu scheiden. Ging Ihnen das auch so?
Wenn ich alleine im Auto unterwegs war, habe ich oft vor Wut geschrien. Ich dachte, da hört mich niemand. Ich habe so geschrien, dass ich oft am nächsten Tag keine Stimme mehr hatte. Aber heute bin ich nicht mehr wütend. Heute kann ich in liebevoller Weise an meinen Mann und meine Tochter zurückdenken und sagen: Danke, dass es euch gegeben hat!
Da Sie ein gläubiger Mensch sind, glauben Sie auch sicher daran, dass Sie Ihrem Mann und Ihrer Tochter eines Tages in einer anderen Dimension wieder begegnen. Und ihnen dann endlich die Frage aller Fragen stellen können: Warum habt ihr mir das damals angetan?
Diese Warum-Frage habe ich mir nach dem Tod meines Mannes noch gestellt. Tausendmal. Nach dem Tod meiner Tochter nicht mehr. Auch meine Söhne und alle anderen in der Familie haben diese Frage nicht mehr gestellt. Die Warum-Frage hilft einem ja auch nicht. Jeder Mensch ist ein grosses Geheimnis. Und er wird schon einen triftigen Grund gehabt haben, warum er diesen Schritt gegangen ist. Entscheidend ist doch, dass man die Zurückgebliebenen stärkt. Die Hinterbliebenen wünschen sich nichts so sehr wie liebevolles Verständnis.
Ihr Mann und Ihre Tochter haben sich beide vor dem Haus verbrannt. Wo waren Sie in dem Moment?
Oben in der Wohnung im ersten Stock. Ich sass vor dem Fernseher, hatte die Fenster offen und hörte meinen Mann im Garten ganz schrecklich schreien. Ich ging sofort zum Fenster, konnte nicht fassen, was ich sah, und rannte nach unten. Diese Bilder verfolgen mich bis heute in meinen Albträumen. Und manchmal kriege ich auch tagsüber Angstzustände, wenn ich irgendwo Feuer sehe. Oder wenn ich etwas sehe, das meiner Tochter gehörte – Schuhe, Teddybären, Puppen. Das steht alles auf einem Regal im Wohnzimmer. Vor Weihnachten hatte ich so eine Phase, da habe ich einen dieser Gegenstände in die Hand genommen und musste auf der Stelle losheulen. Für einen Moment kommt da noch mal der starke Schmerz hoch – so wie damals, als es passiert ist. Glücklicherweise heute nur ganz kurz, früher wäre ich erst mal drei Stunden dagelegen und hätte nicht atmen können. Die Kunst ist wirklich, nach so einem Erlebnis völlig neu zu lernen, die Freude zu leben.
Nun sind Sie ja wieder verheiratet …
… und es geht mir so gut mit diesem Mann, ein echter Seelenpartner. Seine erste Frau ist auch früh verstorben. Und dass der Herrgott uns beide zusammengeführt hat, ist für mich ein riesengrosses Wunder. Wir leben nach derselben Philosophie – alles Schöne in Dankbarkeit annehmen.
Schön war bestimmt auch die Hochzeit Ihres Sohnes Willi. Heiratet auch Andreas bald seine Silvia?
Wann immer das sein wird – ich freue mich. Ich liebe Silvia! Das empfinde ich auch als grosses Glück, dass ich zu meinen Schwiegertöchtern – und Silvia zähle ich schon dazu – so ein gutes, freundschaftliches Verhältnis habe.
Wünschen Sie sich denn, dass Ihre Söhne Sie noch zur Oma machen?
Ja, auf jeden Fall! Ich glaube auch fest daran, dass das passiert. Sie wollen ja unbedingt Familie mit Kindern. Andreas ist auch einer, der sehr gut mit Kindern umgehen kann. Der wird mal ein guter Papa. Meine beiden anderen Söhne aber auch. Im Moment glauben sie nur, sie hätten noch einiges zu tun und wollen noch ein bisschen Karriere machen. Da sage ich mir aber: Das wird der Herrgott schon lenken. Wenn nur alle geplanten Kinder zur Welt kämen, dann gäbe es uns vielleicht gar nicht. Aber doch: Den Wunsch, Oma zu werden, den habe ich schon.