Richtig essen gegen Krebs?

Keine Würste mehr, kein rotes Fleisch, weil sie das Darmkrebsrisiko erhöhen? Die Weltgesundheitsorganisation hat damit aufgeschreckt. Wir fragten einen Experten, welche Rolle die Ernährung wirklich spielt.

Vor wenigen Wochen sorgte eine Meldung der Internationalen Agentur für Krebsforschung (IARC), einer Abteilung der Weltgesundheitsorganisation WHO, für Aufruhr. Ein hoher Verzehr von verarbeiteten Fleischwaren wie Cervelat, Schinken und Bratwurst erhöhe das (Darm-)Krebsrisiko. Gewarnt wurde ebenso vor rotem Fleisch wie Rind, Schwein, Lamm oder Pferd.

Was ist davon zu halten? Die GlücksPost hat bei Dr. med. Reinhard Imoberdorf, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin am Kantonsspital Winterthur, nachgefragt.

GlücksPost: Offenbar gibt es einen Zusammenhang zwischen Ernährung und Krebs. Welche Nahrungsmittel lösen Krebs aus?
Dr. med. Reinhard Imoberdorf: Das ist ein ganz schwieriges Thema. Gemäss Wissenschaftsliteratur ist die Ernährung zu 30 bis 35 Prozent mitverantwortlich für die Entstehung von bösartigen Tumoren. Um welche Nahrungsbestandteile es im Einzelnen tatsächlich geht, ist allerdings zu wenig bekannt.

Weshalb?
Zahlreiche Studien basieren auf Beobachtungen. Fest steht, dass es weltweit unglaublich auffällige Unterschiede gibt, wie häufig Krebserkrankungen in einer Region vorkommen. In Osteuropa beispielsweise erkranken 300 bis 400 von 100’000 Einwohnern an Krebs. In südostasiatischen Ländern hingegen sind es «nur» 100 Fälle auf 100’000 Bewohner. In Japan ist die Brustkrebsrate sehr tief. Wandern Japanerinnen aber in ein Land aus, in dem Brustkrebs häufig vorkommt, erkranken auch sie häufiger. Dies zeigt deutlich, dass es auch an der Ernährung liegen kann. Doch wie gesagt: Es handelt sich bisher nur um vergleichende Beobachtungen.

Manche Menschen essen nun kein rotes Fleisch mehr, aus Angst vor Darmkrebs. Macht das Sinn?
Dies ist ein höchst umstrittenes Thema, da die Experten ihre Meinung dazu immer wieder ändern. Mal ist rotes Fleisch okay, dann ist es wieder verpönt – je nachdem, welche Studien berücksichtigt werden. Die eidgenössische Ernährungskommission unter der Leitung von Prof. Ulrich Keller hat den Bundesrat vor Kurzem aufgefordert, der Schweizer Bevölkerung nahezulegen, weniger Fleisch zu essen – bevor der WHO-Bericht erschien.
Meine persönliche Meinung ist: Schaut man sich die Studiendaten genau an, wird man feststellen, dass sich das Risiko prozentual nur minimal erhöht. Daraus all­gemeine Empfehlungen abzuleiten, erachte ich als übertrieben.

Welche vorbeugende Kost empfehlen Sie?
Es gibt zahlreiche Studien, die belegen, dass die mediterrane Ernährung gesund hält: Es gibt weniger Herztodesfälle und weniger Krebserkrankungen. Diese Kost setzt insbesondere auf komplexe Kohlenhydrate wie Gemüse und Früchte, die den Blutzucker nicht hochschnellen lassen. Zudem enthalten sie sogenannt sekundäre Pflanzenstoffe, die vor Krebs schützen können. Nachlesen kann man dies im Buch «Krebszellen mögen keine Himbeeren» von Prof. Richard Béliveau.
Um das Krebsrisiko deutlich zu senken, sind neben der medi­terranen Ernährung aber unbedingt auch körperliche Bewegung (½ Stunde pro Tag) sowie Nichtrauchen angesagt. Dafür ist ein Gläschen Wein pro Tag erlaubt.

Wie sollen sich Menschen er­nähren, die bereits an Krebs erkrankt sind? Oft wird eine kohlenhydratreduzierte (ketogene) Ernährung empfohlen.
Dieses Thema ist uralt. Bereits 1924 stellte der Biochemiker Otto Warburg fest, dass sich Tumorzellen von Glukose ernähren. Daraus entstand die Vorstellung, dass man Krebszellen aushungern kann, wenn man auf Zucker und Kohlenhydrate verzichtet. Tierversuche haben gezeigt, dass dies kurzfristig helfen kann. Dennoch ist das kein Grund, Krebspatienten grundsätzlich eine kohlenhydratarme Diät nahezu­legen, denn heute weiss man: Es geht nicht nur um Zucker. Unser Körper ist ein Überlebenskünstler und kann seinen Stoffwechsel im Bedarfsfall umstellen. Indem er die benötigte Energie beispielsweise aus Aminosäuren produziert.

Was empfehlen Sie?
Das hängt davon ab, in welchem Krebsstadium sich ein Patient befindet. Einer Frau mit Brustkrebs, der noch nicht weit metastasiert hat, und die körperlich noch fit ist, raten wir zu einer gesunden, mediterranen Kost. Es gibt Daten, die zeigen, dass hochglykämische Kohlenhydrate schneller zu einem Rückfall führen. Deshalb ist es sicher gut, wenn man weniger Pasta und Süssigkeiten isst und dafür mehr auf Fett und Eiweiss setzt. Daraus abzuleiten, dass eine kohlenhydratarme Diät gut für Krebspatienten ist, ist hingegen wissenschaftlich nicht erwiesen. Fest steht: Es gibt leider keine Diät, die Krebs heilen kann!
Im Spital pflegen wir Patienten, deren Krebserkrankung bereits weit fortgeschritten ist. Da sie unter Appetitmangel leiden oder nichts mehr essen können, ver­lieren sie ungewollt an Gewicht und sind mangelernährt. Deshalb brauchen sie dringend energiedichte Nahrung. In Zusammenarbeit mit unseren Ernährungstherapeutinnen wird ein individueller Diätplan erstellt, der stärkende Zusätze wie Maltodextrin und Energie-Cocktails sowie mehr Fett und Eiweiss enthält. Reicht das nicht aus, hilft künstliche Ernährung über die Venen. Denn aus der Literatur weiss man, dass ein Viertel der Krebspatienten letztlich nicht am Krebs selber sterben, sondern an einer Mangelernährung als Folge des Krebsleidens.